Heimspiel oder neue Welt?
Zwischenstation im Spreewald
So eine Reise innerhalb des Heimatlandes mutet fast wie ein Heimspiel an. Aber eben nur fast … Man kann vermeintlich die Sprache, weiß wo es was zu kaufen gibt, muss sich nicht mit anderen Verkehrsregeln auseinandersetzen und überhaupt ist alles fast so wie zuhause nur eben woanders.
Wir wollen die schönen sonnigen Herbsttage nutzen und brechen zu einer kleinen Reise an die Ostsee auf. Der Weg ist jedoch nicht zu unterschätzen, immerhin geht es doch einmal quer durch die ganze Nation. Wir haben in der Beziehung zwar Erfahrung aus unseren regelmäßigen Fahrten Aurich-Chiemsee-Aurich. Wir haben jedoch Urlaub und möchten es ganz gemütlich angehen lassen. Auf unserer Fahrt überqueren wir die Wilde Sau, lassen die Ausfahrt Wilder Mann rechts liegen, haben wir doch Angst vor selbigem, verneinen auch Willsdruff und stellen fest, das Mantel nichts zum anziehen ist, sondern ein Ort. Ortsnamen können auch Geschichten erzählen. Der Freitag als Reisetag war suboptimal gewählt und so kommen wir stauerprobt nach ca. 7!! Stunden im Spreewald in Lübbenau, unserer ersten Reiseetappe an.
Flott steuern wir den Womostellplatz in Lübbenau an, den wir uns im Vorfeld ausgesucht hatten. Wir wissen ja wo wir hin wollen, werden jedoch schon an der Hauptstraße mit dem Schild „Alles ausgebucht – fully booked“ empfangen. Mhm – reservieren wollten und konnten wir nicht, da nur Reservierungen für länger als 3 Tage angenommen wurden. So lange wollten wir nicht bleiben denn wir haben ja noch ein anderes Reiseziel.
Am Ortseingang hatte ich aus den Augenwinkeln gesehen, dass da ein riesiger Parkplatz ist auf dem Womos stehen. Ich fahre eine kleine Runde durch die kleine Innenstadt und wir steuern den Platz an. Ja man kann da stehen, es gibt auch ein WC und sonst nix. Dafür kostet er auch „nur“ 25 Euro über Nacht. Wir stehen gut und ruhig und gehen erst mal essen. Gleich gegenüber befindet sich ein Cafe/Restaurant. Wir finden sogar noch einen Platz auf der überdachten Terrasse. Die Speisekarte bietet deftige Hausmannskost und das soll die nächsten Tage auch so bleiben.
Hier im Spreewald gibt es noch die Besonderheit der Sorben. Die Sorben verstehen sich als Nachfahren der westslawischen Stämme der Milzener und Lusizer, welche im 6. Jahrhundert das Gebiet der heutigen Ober- und Niederlausitz besiedelten. Heute leben etwa 60.000 Sorben als nationale Minderheit in den sächsischen Landkreisen Bautzen, Görlitz, im Süden Brandenburgs und eben auch im Sprreewald. Die Sorben haben auch ihre eigene Sprache das „Sorbisch“. Je nach Region ähnelt das Sorbisch dem Tschechischen, Slowakischen oder Polnischen.
Am nächsten Morgen entpuppt sich das Gebäude am Eingang des Parkpatzes als ein Kiosk mit dem lustigen Namen „Gurken Drive Lübbenau“, der die Reisenden mit den notwendigen Souvenirs versorgt, aber auch einen ordentlichen Kaffee anbietet was wir dankbar angenommen haben. Gerne hätten wir in einem Lokal gefrühstückt, was aber daran scheiterte, dass man das Frühstück vorbestellen muss – bis 17 Uhr am Vortag – wegen der Brötchenbestellung … Wir haben es nicht verstanden, warum man wegen zwei Semmeln hin oder her sich das Geschäft entgehen lässt, aber die werden schon wissen was sie tun. Wir werden noch mit vielen Sachen in dieser Art konfrontiert werden …
Der Spreewald und seine Gurken
Schon der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane stellte in den 1870er Jahren fest, dass die besonderen Gewürzgurken eine Delikatesse sind.
„Die Spreewaldprodukte haben nämlich in Lübbenau ihren vorzüglichsten Stapelplatz und gehen erst von hier aus in die Welt. Unter diesen Produkten stehen die Gurken obenan. In einem der Vorjahre wurden seitens eines einzigen Händlers 800 Schock pro Woche verkauft. Das würde nichts sagen in Hamburg oder Liverpool, wo man gewohnt ist, nach Lasten und Tonnen zu rechnen, aber »jede Stelle hat ihre Elle«, was erwogen für diese 800 Schock eine gute Reputation ergibt.“
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Die feuchten humusreichen Böden und das Klima im Spreewald unterstützen das Wachstum der Gurken. Der spezielle Geschmack der Spreewaldgurken resultiert aus ihren Verarbeitungsformen und den beigefügten Gewürzen. Die Verarbeitung muss im Wirtschaftsraum Spreewald erfolgen und die verwendeten Gurken müssen zu 70 % dort erzeugt worden sein.
Während der Gärungsprozess in großen Fässern früher mehrere Wochen in Anspruch nahm, kommen die Gurken heute bereits nach eintägiger Verarbeitung in den Handel – sei es als Senf-, Gewürz- oder Salzgurken. Bei der Verarbeitung in den ca. zwanzig Einlegereien werden die Gurken auf siebzig Grad Celsius unter Zugabe von Natronlauge erhitzt. Zugaben wie Basilikum, Zitronenmelisse, Wein-, Kirsch- oder Nussblätter geben der Spreewaldgurke ihren Geschmack.
Wir haben auch eine ganze Menge ganz wilder Gewürzmischungen dort gesehen, aber nicht probiert. Ich bin ja der Meinung, je weniger mit Gewürzen experimentiert wird und je ursprünglicher eine Gurke eingelegt wird, desto besser ist sie. Da sind wir ganz puristisch.
Während der Zeit der DDR wurde die Spreewaldgurke vom VEB Spreewaldkonserve Golßen angeboten. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 war die Spreewaldgurke eines der wenigen DDR-Produkte, die ohne Unterbrechung weiter erhältlich waren. Die Gurke ist unter ihrem Markennamen Spreewälder Gurken erhältlich, der im März 1999 EU-weit geschützt wurde.
Kurioses zur Spreewaldgurke
Bekanntheit, auch im Westen, erlangte die Gurke im Jahr 2003 mit dem mehrfach preisgekrönten Spielfilm Good Bye, Lenin! von Wolfgang Becker. In dieser Tragikomödie hat Daniel Brühl schon kurz nach der Wende große Schwierigkeiten, die von seiner Mutter heißgeliebten Spreewaldgurken aufzutreiben, die er unbedingt braucht, um seiner kranken Mutter das Fortbestehen der aus ihrer Sicht „heilen DDR-Welt“ vorgaukeln zu können.
Im Spreewald gibt es den Gurken-Radweg, dessen Logo eine lachende Gurke auf einem Fahrrad zeigt.
Beim alljährlichen Spreewald-Marathon, der in den Disziplinen Laufen, Radfahren, Wandern, Paddeln und Inline-Skaten ausgetragen wird, heißt es beim Start „Auf die Gurke, fertig, los“.
Eine Kahnfahrt im Spreewald die ist lustig …
Auf unserem Tagesplan stand für heute eine Spreewaldfahrt. Entlang der Hauptstraße gibt es viele Fährbetriebe, die eine Spreewaldfahrt anbieten, neben zahlreichen Ständen an denen man besagte Gurken kaufen kann. Irgendwann müssen wir uns für einen Fährmann entscheiden und gehen zielstrebig über den großen Parkplatz zum „Hafen am Holzgraben“ in Richtung Fährkähne.
Man kann zwischen einer zweistündigen, einer vierstündigen und einer sechsstündigen Tour wählen. Wir haben Zeit und nehmen das volle Programm. Bis wir pünktlich ablegen, ist der Kahn tatsächlich ausgebucht. Pünktlich starten wir und unser Fährmann „Thorsten“ unterhält mit vielen netten und unterhaltsamen Anekdötchen. Man sitzt sich zu dritt oder viert auf Bänken gegenüber. Dazwischen ist ein Tisch und unter den Bänken befindet sich eine erkleckliche Auswahl an Getränken, sodass keiner verdursten muss. Eine Kahnfahrt durch das Biosphärenreservat Spreewald ist ein Ausflug auf verschlungenen Fließen.
Dabei stakt der Fährmann/frau über die stillen Kanäle (Fließe) dieser einzigartigen Lagunenlandschaft. Man genießt die Natur und die Ruhe des Spreewaldes. Unterwegs wird kurz für eine kleine Stärkung mit eingelegten Gurken und Gemüse sowie dazu passenden Schmalzbroten angehalten. Für uns war das willkommen, hatten wir ja nur eine Tasse Kaffee zum Frühstück. Während man sanft durch die malerische Landschaft hingleitet, fühlt man sich wie in einem Spreewaldkrimi. Thorsten stagt uns mit seinem „Rudel“ (Ruder oder Padel) an vielen kleinen Häusern, meistens Wochenendhäuschen vorbei. Es ist ein bisschen wie aus einer anderen Welt und sehr beschaulich.
Die Kähne sind kein Überbleibsel aus alter Zeit, als man sich noch nicht anderweitig fortbewegen konnte, sondern werden auch heute noch ganz entsprechend ihrer Bestimmung genutzt, als Lasten-, Transport und Personenbeförderungskahm. Auch heute wird er noch benutzt um die Ernte nach Hause zu bringen oder täglich mit dem Postkahn die Post zuzustellen.
Die Form des Kahnes stammt vom Einbaum. So entstand die heute kiellose, flache Kahnform. Der Spreewaldkahn ist ein flaches Gleitboot, vorn breiter als hinten und so eine Art Landungsboot, mit dem der Bauer vom Fließ „auf die Wiese fährt“. Im Freilandmuseum Lehde befindet sich die älteste Kahnbauerei des Spreewaldes.
Das Rudel ist aus Eschenholz und bis zu 4 Meter lang. Der heutige Spreewaldkahn hat eine Breite von maximal 1,90 Meter und eine Länge von maximal 9,50 Meter.
Um die Gäste mit einem Kahn durch die Fließ zu staken, muß ein Schiffsführerschein der Kategorie E (Personenkähne) abgelegt werden, außerdem eine theoretische und praktische Prüfung sowie einen Erste-Hilfe-Lehrgang besuchen. Erst dann darf man sich Fährmann oder Fährfrau nennen. Naja – ist ja wohl normal – oder?
Es ist eines dieser letzten wunderbaren Wochenenden im September und wer hätte es gedacht, nicht nur wir kamen auf die Idee diesen Tag zu nutzen. Man glaubt ja nicht, wieviel Menschen da auf die Kähne und in die Kanäle passen. Mit geführtem Kahn oder selbstständig im eigenen oder gemieteten Kahn oder Paddelboot wuselt es nur so um uns herum. Die Paddelkünste sind sehr unterschiedlich und während einige Kanus zügig an uns vorbeiziehen, drehen sich andere mehr oder weniger auf der Stelle und die zurückgelegten Kilometer des Tages sind „auf dem Teller“ entstanden.
Gut organisiertes Mittagessen
Mittagessen gibt es im »Gasthaus Wotschofska«, eines der ältesten Ausflugslokale im Spreewald. Wir sitzen draussen und sehen dem geschäftigen Kommen und Gehen der vielen Besucher zu. Alles ist top organisiert, man weiß was an so einem Wochenende auf einen zu kommt. Die Bedienungen sind flott, schließlich muss so ein Tisch mehrfach verkauft werden. Auf dem Rückweg passieren wir zwei handbetriebene Schleusen, kehren noch zu Kaffee und Kuchen ein und als wir am späten Nachmittag anlegen, sind alle einhellig der Meinung, dass es ein wirklich schöner Tag war. Es hat uns gut gefallen und wir können es nur weiterempfehlen.
Abenteurliches Abendessen
Das Abendessen war etwas abenteuerlich, da wir im ersten Lokal schon mal gar keinen Platz bekamen. Alles reserviert. Im nächst gelegenen Gasthaus „Spreewaldeck“ konnten wir nur drin sitzen, weil draussen macht man um 19 Uhr dicht. Wir bekommen den letzten freien Tisch in der Gaststätte und als wir nach 45 Minuten fragen, ob die Bedienung denn absehen könne, wann das Essen käme, bekamen wir nur zur Antwort, wir würden doch sehen was hier los ist … Überraschenderweise kam dann umgehend das Essen und es war – kalt. Zumindest in weiten Teilen. Wir hatten das dann auch kurz erwähnt, als man fragte wie es uns geschmeckt hätte. Hat aber niemanden interessiert. Ok – man muss sich eben an den etwas raueren Charme der Brandenburger gewöhnen.